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Europas Tag der Abrechnung

Stefan Frank

Diesmal gab es kein „Wir schaffen das“. Doch dafür hatte Bundeskanzlerin Merkel nach dem Sturm des Dschihad auf Paris eine andere Botschaft für das französische Volk: „Wir weinen mit Ihnen.“ Worte, die in die Geschichte eingehen werden wie Roosevelts „a date which will live in infamy“. Dass Merkel mit ihnen weint, wird nicht nur den Franzosen Halt geben, sondern auch die Deutschen moralisch aufrichten und stärken, denen ja, wie der Islamische Staat durch die Wahl seines Ziels – am Rande des Freundschaftsspiels Frankreich-Deutschland – und die vorangegangene Bombendrohung gegen das Hotel der deutschen Nationalmannschaft hinreichend klar gemacht hat, die nächsten Terroranschläge gelten werden. Tränen lügen nicht. Merkel ist nicht der erste Mensch an der Spitze eines Staates, der sich einem bösartigen Feind gegenüber sieht, den niederzuringen alle Kräfte der Nation erfordert. Sie dürfte aber die Erste sein, die glaubt, ihn durch Weinen zu bezwingen. Als Winston Churchill sich am 13. Mai 1940, drei Tage nach seinem Amtsantritt, an das britische Unterhaus wandte, um dessen Unterstützung für den Krieg gegen Deutschland zu ersuchen, sagte er, er wolle eine Regierung bilden, „die den vereinten und unbiegsamen Entschluss der Nation“ verkörpere, „den Krieg mit Deutschland zu einem siegreichen Ende zu führen.“ Und weiter: „Ich sage zu diesem Haus dasselbe, was ich zu denen gesagt habe, die der Regierung beigetreten sind: ‚Ich habe nichts zu bieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß’.“

Ist es unfair, die Vermutung aufzustellen, Churchills Rede wäre eine Spur weniger überzeugend gewesen, wenn er einfach nur gesagt hätte: „Ich habe nichts zu bieten außer Tränen“? Dass Merkel nicht wie Churchill ist – wer ist das schon? –, ist freilich noch das geringste unserer Probleme. Sehr viel schwerer wiegt der schiere Umstand, dass heute, da die Europäer sich in einem Krieg befinden, der auf ihre Vernichtung zielt, Deutschland und Europa von einer Person geführt werden, deren Zurechnungsfähigkeit ernsthaft in Frage steht. Das fällt selbst dem Ausland auf. In einem am 26. Oktober in der Londoner Financial Times veröffentlichten Leitartikel mit dem Titel “Das Ende der Ära Merkel ist in Sicht”, schreibt Gideon Rachman: „Einige Wähler haben offenbar die Schlussfolgerung gezogen, dass Mutti verrückt geworden ist – Deutschlands Grenzen weit auf zu machen für alle mit Mühsal Beladenen dieser Welt.”

Und weit auf zu machen, muss man hinzufügen, für alle Terroristen. Davor hatte uns ja der libanesische Bildungsminister Elias Bou Saab gewarnt: Nach Erkenntnissen der libanesischen Regierung seien zwei Prozent der 1,1 Millionen Bewohner libanesischer Flüchtlingslager Terroristen des Islamischen Staates, sagte er im September, und fügte hinzu, dass diese wahrscheinlich auf dem Weg nach Europa seien: „Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie [der Islamische Staat] solch eine Operation durchführen. Nach Europa und in andere Länder gehen.“ (1)

Selbstverständlich tun sie das. Was hätte den Islamischen Staat in Abwesenheit jeglicher Grenzkontrollen daran hindern sollen, kriegserprobte Selbstmordkommandos nach Europa zu bringen, um in Großstädten Massaker zu verüben? Niemand hat geglaubt, dass sie das nicht tun werden – niemand außer denen, die die Macht im Staat haben, natürlich: „Die Mär vom eingeschlichenen Terroristen“, betitelte die Münchener Prawda am 15. Oktober einen Beitrag, in dem sie die wissenschaftliche Hypothese verbreitete, Terroristen würden sich am effektivsten durch offene Grenzen abschrecken lassen – insbesondere dann, wenn es Busse gibt, die sie direkt zum Ziel ihrer Anschläge fahren.

Nun heißt es, mindestens zwei der Pariser Attentäter seien als „Flüchtlinge“ über Griechenland eingereist. Wer hätte das gedacht? Im Bundeskanzleramt und in den Redaktionen von Deutschlands halbamtlichen Zeitungen ist man sicherlich aus allen Wolken gefallen. „Hast du schon gehört, Peter, unter den Millionen, die unkontrolliert über die offenen Grenzen gekommen sind, waren doch Terroristen“– „Na, da brat’ mir doch einer `nen Storch!“ Man kann sich lebhaft vorstellen, wie bei der „Süddeutschen“ und anderswo die Telefone klingeln, lauter kritische Leser, die nun bohrende Fragen stellen.

Doch fokussieren wir uns nicht auf einzelne Personen. Ja, Merkel mag 30.000 Terroristen des Islamischen Staates nach Deutschland geholt haben, die demnächst Amok laufen werden, aber warum soll man jetzt auf diesem Fehler herumreiten? Schwamm drüber, vergessen und verziehen. Statt uns mit individuellen Verfehlungen zu beschäftigen, sollten wir die moralische Krise in den Blick nehmen, die seit vielen Jahrzehnten andauert und die ganze Welt betrifft.

Als erstes ist hier zu nennen, dass die Vereinten Nationen niemals definiert haben, was Terrorismus ist. Das war ihnen wohl zu schwierig, vor allem, da die meisten Mitgliedsstaaten Terroristen wie die der PLO immer gefördert haben. Man kann die Bilder des heutigen Terrors nicht lösen von dem Bild Arafats, wie er im November 1974 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen redet, frenetisch gefeiert, mit einem Pistolenholster am Gürtel. Zwei Jahre zuvor hatten Mitglieder von Arafats Fatah in München elf israelische Leichtathleten ermordet.

Nur sechs Monate vor seiner Rede, im Mai 1974, hatten Mitglieder der zur PLO gehörenden DFLP in der nordisraelischen Stadt Ma’alot eine Schule überfallen, die Schüler als Geiseln genommen und 26 Menschen – darunter 21 Kinder – getötet. Sieben Monate zuvor, im April 1974, hatten Mitglieder der ebenfalls zu Arafats PLO gehörenden PFLP ein Apartmentgebäude in Kiryat Shmona besetzt, elf Bewohner erschossen und sich dann in die Luft gesprengt. Die Liste könnte weiter und weiter gehen, Arafats Blutspur war schon damals lang. Und doch – oder gerade deshalb – bejubelten ihn die Vereinten Nationen, jene Staatenorganisation, die ins Leben gerufen worden war, um allem Krieg ein Ende zu bereiten.

Statt den Terrorismus zu verurteilen, feierten sie ihn. In unzähligen UN-Resolution heißt es, die „zugrunde liegenden Ursachen“ des Terrorismus seien „Elend, Frustration, Missstände und Verzweiflung, die manche Leute dazu bewegen, Leben zu opfern, darunter ihr eigenes.“ Für die Opfer des Terrorismus bedeutete das, zum Schaden den Spott zu fügen: Wenn jemand dich ermorden will, hast du ihn wohl frustriert. Für die Täter war die Formel ein Ritterschlag: Wer Bomben legt, hat ein ehrenwertes Anliegen, ist eine Art Mutter Teresa mit anderen Mitteln. Damit wurde jeder Terroranschlag zu einer Petition an die UNO und die Regierungen der Welt, die Opfer zu verurteilen. Und das haben sie dann ja auch zuverlässig getan. Sie haben die Mörder gefeiert, die Opfer schikaniert. Die Vereinten Nationen wurden zu einem Lynchmob. (2)

Frankreich, das muss man leider sagen, hat dabei eine unrühmliche Rolle gespielt. De Gaulle fasste den Entschluss, sich auf die Seite des Stärkeren zu stellen: „Die Araber haben die Bevölkerungszahl, die Fläche und die Zeit auf ihrer Seite“, sagte er. Unter Präsident Giscard d’Estaing eröffnete die PLO ein Büro in Paris. Dass Ägypten mit Israel Frieden schloss, widerte d’Estaing an. Darin stimmte er mit Ajatollah Khomeini überein, der sein Gast war und von Paris aus den Umsturz im Iran plante. Und Jacques Chirac war nicht nur ein lebenslanger Freund Arafats (manche Journalisten nannten Paris die Hauptstadt Palästinas), sondern auch eng vertraut mit vielen arabischen Despoten. 1974 reiste er als Ministerpräsident nach Bagdad und traf dort Saddam Hussein, damals der zweitmächtigste Mann im Irak. Die beiden verhandelten über die Lieferung jenes französischen Atomreaktors, den Israel dann 1981 zerstören musste.

Kurz: Frankreich war jahrzehntelang immer wieder ein Förderer des arabischen Terrorismus. Stets war Paris dagegen, die Hisbollah als Terrororganisation einzustufen, und das, obwohl diese mutmaßlich 1983 den Anschlag in Beirut durchgeführt hatte, bei dem 58 französische Soldaten getötet worden waren (bis zum 13. November 2015 war dies der schwerste Terroranschlag der französischen Nachkriegsgeschichte).

Ergibt das alles einen Sinn? Nur, wenn man es mit de Gaulles Logik betrachtet: Wir dürfen uns nicht mit der muslimischen Welt anlegen, denn sie ist stärker. Es ist die Dhimmi-Logik. Verstecken, wegducken, kleinmachen. Und mitmachen, wenn die Starken dieser Welt auf das kleine Israel eindreschen. Wie in der Schulklasse, wo jeder den Außenseiter hänselt, weil er zu den Etablierten gehören will, und alles tut, um nicht mit dem Ausgestoßenen in Verbindung gebracht zu werden.

Das betrifft ganz Europa. In den Siebziger Jahren finanzierte die PLO ihren Terror vor allem mit Schutzgeld, das staatliche europäische Fluggesellschaften ihr zahlten, damit diese sie bei ihren Anschlägen verschonte. In ihrem Buch „Europa und das kommende Kalifat“ beschreibt Bat Ye’or, wie die italienische Regierung es in den Siebziger Jahren erlaubte, dass arabische Terroristen Waffen durch Italien transportierten und sogar Anschläge auf Juden verüben durften; das einzige, was sie erbat, war, dass keine Nichtjuden getötet werden dürften – eine ungewollte Begleiterscheinung des Pakts war die versehentliche Sprengung des Bahnhofs von Bologna im Juli 1980. Francesco Cossiga, der ehemalige Staatspräsident, der im Lauf seines Lebens viele hohe Regierungsämter bekleidet hatte, hat es 2008 in einem Interview mit „Corriere della Sera“ ans Licht gebracht. Darin, so Bat Ye’or, „zitiert er die Vereinbarung aus den frühen 1970er Jahren, die zwischen Ministerpräsident Aldo Moro und Arafat … getroffen wurde. Danach konnten die palästinensischen Terroristen nach Belieben kommen und gehen, unter dem Schutz des Geheimdienstes im Lande umherreisen, Stützpunkte und Waffenlager anlegen – mit der Gegenzusage, Italiens innere und äußere Interessen ungeschoren zu lassen. …

Dabei enthüllte Cossiga, dass sich der vereinbarte Schutz keineswegs auf die italienischen Juden erstreckte. Am 9. Oktober 1982 eröffneten sechs Terroristen das Feuer auf Angehörige der Gemeinde von Rom, als sie die Große Synagoge verließen. Dutzende von Juden wurden verletzt und Stefano Taché, ein zweijähriges Kind, getötet. Dabei waren schon einige Stunden vor dem Angriff die vor der Synagoge postierten italienischen Polizisten verschwunden. Erstmals gab Cossiga zu, dass die Explosion im Bahnhof von Bologna im Juli 1980, die 85 Menschen tötete und 200 verletzte, von Terroristen der PFLP, der mit der PLO verbundenen Organisation des George Habash, verübt worden war. Wie er weiter ausführte, sollte die Bombe, die unbeabsichtigt im Gepäckbereich explodierte, keine Nichtjuden töten. Seinerzeit Ministerpräsident, hatte Cossiga die Palästinenser entlastet, indem er die Tat den Neofaschisten in die Schuhe schob. In einem Interview mit dem Rom-Korrespondenten des Yediot Ahronot räumte Cossiga sogar ein, dass die italienische Regierung Angriffe auf israelische und jüdische Ziele duldete und die Terroristen trotz der hohen Opferzahlen fortwährend schützte.“ (3)

Arabische Terroristen fördern und Israel schikanieren, damit Europa verschont bleibt, das war die Logik. Doch die Bibel sagt: „Wer eine Grube gräbt, der wird hineinfallen; und wer einen Stein wälzt, auf den wird er zurückkommen.“ (Sprüche 26, 27). Europa wollte, dass der Terrorismus sich nur gegen Israel richtet und einen Bogen um Europa macht. Stattdessen ist Israel heute wahrscheinlich sicherer.

Nicht in Israel, sondern in Europa wütet jetzt das, was der aus dem Libanon stammende Amerikaner Walid Phares, der wie kein anderer den islamischen Terrorismus versteht, schon vor einem Jahrzehnt den „urban jihad“ nannte: Mit Sturmgewehren, Sprengstoff, Granaten und Aufputschmitteln ausgestattete Terroristen greifen zeitgleich an verschiedenen Orten einer Metropole an und ermorden innerhalb weniger Stunden die größtmögliche Zahl von Zivilisten. Der Terror von Mumbai am 26. November 2008 war die Blaupause dafür. Diese Art von Terrorismus wird Europa noch oft erwischen. Er ist das Ergebnis einer moralischen Krise, die dazu geführt hat, dass Europas Politikern die Fähigkeit abhanden gekommen ist, Gut und Böse zu unterscheiden und Bedrohungen unseres Lebens und unserer Freiheit zu identifizieren. In Teheran und Ankara werfen sich Steinmeier und Merkel in den Staub vor den Drahtziehern des Terrorismus – des schiitischen und des sunnitischen.

Der Weg, den Terror zu bekämpfen, ist eine moralische Umkehr. Wir müssen lernen zu erkennen, wer Freund und wer Feind ist, und diejenigen unterstützen, die den Terror bekämpfen: die Regierungen Israels, Ägyptens, Kenias, Äthiopiens und des Tschad. Der Tschad ist ein kleines und armes Land, dessen tapfere Bevölkerung vor 30 Jahren die mit sowjetischen Panzern ausgerüstete Legion Gaddafis in die Flucht geschlagen hat. Heute hat es den muslimischen Terroristen von Boko Haram den Krieg erklärt, die sich mit Massakern an der Zivilbevölkerung rächen. Erhält es militärische Hilfe aus Europa? Nein. Oder nehmen wir die Kurden: Überall in Syrien und dem Irak, wo sie kämpfen, besiegen sie den Islamischen Staat. Soeben haben sie Shingal befreit, die Stadt, in der der Islamische Staat vor einem Jahr den Völkermord an den Jesiden verübt hat. Die Kurden sind nur wenige Kilometer von den beiden Machtzentren des IS, Rakka und Mossul, entfernt. Mit westlicher Hilfe könnten sie dort einmarschieren und so den IS de facto vernichten. Dafür aber brauchen sie Panzer. Deutschland hat Panzer. Worauf warten wir?

Dass der Westen die Unabhängigkeit Kurdistans unterstützen muss, sollte sich von selbst verstehen. Die Kurden sind die einzigen in der Region, die Frauen- und Minderheitenrechte respektieren. Doch aufgrund eines Mangels an moralischer Klarheit sieht der deutsche Außenminister in den kurdischen Autonomiebestrebungen eine „Bedrohung der Stabilität“ (welche Stabilität mag er meinen?), während er einen von Terroristen bewohnten Staat „Palästina“, der im Falle eines israelischen Rückzugs sofort vom IS annektiert würde, nicht nur für eine Bereicherung, sondern für unverzichtbar hält. Die Wirklichkeit steht bei Steinmeier kopf.

Eigentlich ist es einfach: Wer für die Freiheit ist, der muss die Freunde der Freiheit stärken und den Feinden Angst einjagen. Doch Obama und Europas Linksregierungen tun stets das Gegenteil. Diese psychisch-moralische Schwäche ist die Ursache aller Probleme. Sie ist ein kulturelles Problem: Seit den späten Sechziger Jahren galt es unter westlichen Intellektuellen als schick, Tyrannen zu verklären und zu romantisieren. Man denke an Noam Chomsky, der Pol Pot und die Roten Khmer verteidigte, oder an Richard Falk, der 1979 in der „New York Times“ über Khomeini schrieb: „Die Schilderungen, die ihn als fanatisch, reaktionär und als Träger von kruden Vorurteilen beschreiben, sind sicherlich und glücklicherweise falsch. Es ist zudem ermutigend, dass der Kreis seiner engen Berater durchgängig aus moderaten und progressiven Individuen zu bestehen scheint.“

Diese moralische Blindheit können wir uns nicht länger erlauben, wenn wir überleben wollen. Wir müssen aufhören, mit Tyrannen und Terroristen zu kuscheln. Was uns bevorsteht, ist in dem Film „Terminator“ von 1984 passend beschrieben: „Hör zu und begreif das: Dieser Terminator ist da draußen. Man kann nicht mit ihm verhandeln. Man kann nicht an seine Vernunft appellieren. Er fühlt kein Mitleid oder Bedauern oder Furcht. Und er wird unter keinen Umständen stoppen, niemals, bis du tot bist.“

(1) http://www.dailymail.co.uk/news/article-3234458/Two-100-Syrian-migrants-ISIS-fighters-PM-warned-Lebanese-minister-tells-Cameron-extremist-group-sending-jihadists-cover-attack-West.html (2) http://www.audiatur-online.ch/2015/11/10/als-die-vereinten-nationen-zum-lynchmob-wurden/ (3) Bat Ye’or: Europa und das kommende Kalifat. Der Islam und die Radikalisierung der Demokratie. Berlin 2013.

 

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/europas_tag_der_abrechnung

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