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EU – Was nun?

Gesehen bei: http://www.jjahnke.net/wb/rundbr121-l.html#3561

Die EU driftet mit tiefen Rissen in vielen essenziellen Fragen und dem bevorstehenden und sicher qualvollen (siehe May’s Drohungen) Ausscheiden ihres zweitgrößten Mitglieds vor sich hin. Weder in der Frage der Haushaltspolitik, noch in der Behandlung der Migration, noch im Verhältnis zu Rußland gibt es eine einheitliche Linie. Das Verhältnis zum wichtigsten Partner USA ist durch das Verhalten des neuen Präsidenten, dem sich die britische Regierung an den Hals wirft, schwer gestört. Der EURO mit seiner Zwangsjacke fester Wechelkurse hat die Situation seit Jahren schwer vergiftet. Die Osteuropäer mit etwa einem Fünftel der Gesamtbevölkerung sind überwiegend auf einem nationalistischen Kurs. Wirtschaftlich entwickelt sich die EU zwischen ihren südlichen Mitgliedern und dem Rest immer weiter auseinander. Eine EU mit so großen Unterschieden in der Arbeitslosigkeit (bis zum 5-Fachen, Abb. 19512), im Wirtschaftswachstum und vor allem im Export (bis zum 13-Fachen, Abb. 19514) und so großen inneren Unterschieden der Mitgliedsländer zwischen Wohlstand und Armut ist längerfristig einfach nicht überlebensfähig. Diese schlimmen Mißstände würden immer wieder auf die EU zurückgeführt werden.

 

 

Außerdem sind die EU-Institutionen gewaltig aufgebläht und von einer riesigen Lobby verseucht. In vielen Mitgliedsländer wachsen politische Kräfte aus der nationalen und oft EU-feindlichen Ecke hoch. Die politischen Eliten haben müde, kraftlose oder wenig überzeugende Figuren auf wichtige Posten geschoben, wie Kommissionspräsident Juncker oder jetzt einen Berlusconi-Freund auf den Stuhl des Parlamentspräsidenten.

 

Auch ein Schulz, der alle Mängel der europäischen Konstruktion aus größter Nähe erlebt hat, verspricht keinen neuen Wind. Stattdessen kommt er mit den alten Worthülsen einer unausweichlichen Globalisierung in einer multikulturellen Welt. Hier Auszüge aus seiner Heidelberger Hochschulrede vom 9. Juni 2016 unter dem Titel: “Heimat, Flucht und Identität in Zeiten der Globalisierung”:

“Das Lebensgefühl dieser neuen Weltbürger ist das Bekenntnis zu komplementären Identitäten, und einer Heimat der vielen Orte. … Es gibt also doch noch Orientierung in einer Welt im Wandel. Diese Orientierung muss sich auf unsere tradierten europäischen Werte stützen, und auf das moderne Bild einer globalisierten Gesellschaft. … Ich verstehe auch die Herausforderung die es birgt von einem Tag auf den anderen großen Gruppen von Syrern, Irakern, und Afghanen in unsere Gesellschaften einzugliedern. Natürlich unterscheiden wir uns in Religion, Kultur, Sprache, und Sitten. Weil uns all dies überfordert, und wir darüber hinaus unser altes Heimatbild bewahren wollen, könnten wir versucht sein uns zu verschließen, niemanden mehr zu uns zu lassen. Dies wäre eine Möglichkeit. Es ist die Möglichkeit die die Populisten des 21. Jahrhunderts in den kalten Nachthimmel schreien, nachdem sie die Fahnen ihrer Urgroßväter aus dem Keller geholt haben. … Das Gemischte und Vermischen ist ein elementarer Teil unserer europäischen Identität. Der große Wandel unseres Jahrhunderts ist schon in vollem Gange. Es ist ein Prozess den wir nicht aufhalten können. … Was die Flüchtlinge mit zu uns bringen ist wertvoller als Gold. Es ist etwas, was wir in den letzten Jahren wohl irgendwo auf dem Weg verloren haben: Es ist die Überzeugung, ja der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa.”

Schulz hätte eine ganz große Rede halten können. Es wurde keine. Man konnte es von ihm eigentlich auch gar nicht erwarten. Trotzdem entäuschend.

Deutschland hat in vielen der Konflikte eine unheilvolle Rolle gespielt. Es hat mit Großbritannien die Globalisierung und das Lohndumping aus Asien (vor allem China) angetrieben, ohne auf die schwächeren EU-Länder viel Rücksicht zu nehmen. Es hat mit einer ein Jahrzehnt durchgehaltenen Lohnbremse ein eigenes Lohndumping gegen seine EU-Partner betrieben. Es hat den anderen Mitgliedsländern immer wieder deutsche Haushaltsdisziplin zu verordnen versucht. Es hat die Dämme einer vernünftigen Immigrationspolitik gebrochen, die Dublin-Vereinbarung zur Asylantragstellung einseitig ausgesetzt und dann noch erwartet, die in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge teilweise auf andere Mitgliedsländer weiterverteilen zu können.

Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bewertetet den geplanten Austritt der Briten als Weckruf für die restliche EU: “Europa hat Probleme mit übermäßiger Bürokratie oder zumindest dieses Image. Der Staatenbund hat auch keinen überzeugenden Beweis dafür geliefert, daß ein Binnenmarkt wichtig ist. Der Euro ist gescheitert. Möglicherweise muß man den Euro aufgeben, um nicht die EU aufzugeben.”

Und doch: Ohne die EU wäre alles noch schlimmer. Natürlich könnten alle Länder auch durch Freihandelsabkommen eng verbunden sein, wie das Großbritannien jetzt für sich fordert, und sind die Zollsätze über die Globalisierung ohnehin stark abgesenkt worden. Doch in einer Welt, in der die Globalisierung viel zu weit getrieben wurde und sich nun die Gegenkräfte zur Wehr setzen, werden auch Freihandelsabkommen zu Relikten von gestern. Wenn die Globalisierung so unterschiedlich wirkt, werden Schutzzölle am Ende unvermeidbar. Europa würde dann, gäbe es die EU nicht, total auseinanderbrechen, und das in einer Welt, in der die Trumps, Putins und Xi Jinpings den Ton angeben und riesige Wirtschaftsimperien und entsprechende Rüstung hinter sich haben.

Also hilft uns nur noch, die gröbsten Fehler dieser EU zu beheben. Eine andere Konstruktion ohne Euro, mit sicheren Außengrenzen gegen Massenimmigration, ohne unbegrenzte Arbeitnehmerfreizügigkeit, ohne die bisherige Vorfahrt für Dumpingimporte und mit einem Abschmelzen des Mammutapparats in Brüssel wäre eine Überlebenschance für den alten Kontinent und könnte vielleicht eines Tages auch für Großbritannien wieder interessant werden. Dafür bräuchte es einen Generationenwechsel, da die Alt-Europäer, zu denen in Deutschland auch der neue SPD-Kanzlerkandidat gehört, die Kraft für einen solchen Neuanfang nicht aufbringen werden. Und doch ist dieses Europa – nicht zuletzt in der Konkurrenz mit den Riesenländern China, Indien, USA und Rußland (Abb. 19511, 19513) – unsere einzige Chance. Die Ehrlichkeit verlangt allerdings die Feststellung, daß diese Chance leider sehr gering ist und das ein Durchwurschteln mit zunehmendem Demokratieverlust weit wahrscheinlicher ist.

 

 

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